Der BVZ AWARD 2019 geht an Marion Mitterhammer. Lesen Sie hier das Interview mit der bekannten Schauspielerin!


Ein bewundernswerter Schritt einer starken Frau: Marion Mitterhammer verleiht der Krankheit Alopecia Areata eine Stimme, denn sie ist selbst seit mehr als 30 Jahren davon betroffen.
 
Schauspielerin Marion Mitterhammer bewegte mit ihrem Coming-Out die Herzen der Menschen. Die Medien stürzten sich auf ihre Geschichte und plötzlich war die Immunschwäche Alopecia Areata in aller Munde. Die charmante Wienerin stand im Fokus des Interesses, weil sie den Mut hatte, öffentlich zu erklären, dass sie  unter Alopecia Totalis, also komplettem Haarverlust leidet. Sie bekannte, seit Jahrzehnten Perücke zu tragen und sie erzählte von ihrem Leid, von der Verunsicherung und den Ängsten, die mit der Diagnose Alopecia Areata Hand in Hand gehen und sie seit ihrem 16. Lebensjahr begleiten. Eine bewundernswerte Frau, die den Mut hatte, ihr Innerstes nach außen zu kehren und sich nicht mehr verstecken möchte. 
 
Schon während wir die Einleitung zu diesem Artikel verfasst haben, ist uns bewusst geworden, wie schnell man bei der Beschreibung der Situation von Marion Mitterhammer versucht ist, zu Worten zu greifen, die auf gewisse Art und Weise wertend sind oder zumindest so wirken. Worte wie „sie bekennt sich zu ihrer Krankheit“, „seit ihrem Outing“ oder „musste ihre Haarlosigkeit verheimlichen“ wirken fast, als hätte Marion Mitterhammer etwas verbrochen. Dabei ist es eigentlich die Gesellschaft, die an ihr etwas verbrochen hat. Angefangen von einem medial vorgegeben Schönheitsideal, das über Filmrolle oder nicht Filmrolle entscheidet, über eine nicht aufgeklärte Gesellschaft, die sich abwendet, bis hin zu den vielen Tränen, die sie vergießen musste, weil sie Angst hatte, „entdeckt“ zu werden. 

 
ZHP: Frau Mitterhammer, was empfinden Sie, wenn sie in den Medien lesen, dass Sie sich geoutet haben, dass Sie nicht länger mit einer Lüge leben möchten?
 
Antwort MM: Zunächst einmal finde ich das Wort outen völlig falsch gewählt, denn ich habe mich nicht geoutet, ich habe lediglich meine Geschichte erzählt, wissend, dass es vielen Menschen ähnlich geht. Ich habe Klartext geredet und meine Situation, die auf der Diagnose Alopecia beruht, beschrieben. Ich wollte mich in meinem beruflichen Umfeld nicht mehr erklären müssen, ich wollte mich nicht mehr für etwas entschuldigen, wofür ich nichts kann. Zudem war die Zeit reif, mit diesem Teil meines Lebens, der mich seit meinem 16. Lebensjahr beschäftigt und eingeengt hat, abzuschließen. Und ich habe auch nicht mit einer Lüge gelebt. Ich habe jahrelang in Unwissenheit gelebt, vor allem in den ersten Jahren, als man nicht wusste, was genau los ist. Und später in Unsicherheit, weil ich nie wusste, kommen meine Haare wieder oder nicht, fallen sie wieder aus, wenn sie gewachsen sind oder nicht.
Heute kann ich über mich und meine Situation lachen. Ich möchte darauf hinweisen, dass niemand perfekt ist: „Nobody is perfect“. Drei einfache Worte, die man sich aber immer mal wieder vor Augen führen sollte, denn sie betreffen jeden von uns. Und ich plädiere dafür, über den übertriebenen Schönheitswahn nachzudenken und vor allem Menschen, die anders sind, nicht auszugrenzen. Mein Motto ist: Die Welt ist bunt. Es lebe Diversity.

 
ZHP: Wie sind die Reaktionen der Menschen heute, ein Jahr nachdem Sie der Öffentlichkeit erzählt haben, dass Sie Perückenträgerin sind und sich unter Ihrer Perücke eine Glatze befindet. Spüren Sie eine Veränderung im Verhalten Ihres Umfelds? Gucken die Menschen verstohlen oder begegnen sie Ihnen gegenüber offen und neugierig?
 
Antwort MM: Im Gegenteil! Die Menschen haben mich manchmal früher, zumindest habe ich das immer so empfunden, schief angeguckt. Heute vermute ich, dass das meistens Einbildung meinerseits war, begründet durch meine Unsicherheit und Sorge, ob man wohl sieht, dass ich eine Perücke trage oder nicht. Die eigene Wahrnehmung kann uns manches Mal einen ganz schönen Streich spielen und hätte ich eine andere Einstellung zu mir selbst gehabt und die Immunschwäche als solche akzeptiert, dann hätte ich sicher auch mein Umfeld anders empfunden. Heute, nachdem ich die Fesseln der Geheimniskrämerei abgelegt habe, sehe ich nur noch Menschen, die mich so akzeptieren wie ich bin. Und die, die mich fragen, bekommen eine Antwort und ein ehrlich gemeintes, fröhliches Lachen.

 
ZHP: Was hat sich für Sie persönlich nach dem Bekanntwerden Ihrer Krankheit geändert?
 
Antwort MM: Ich mag das Wort Krankheit nicht und das Wort Alopecia mag ich, ehrlich gesagt, auch nicht besonders. Mein Immunsystem funktioniert ein bisschen anders, mein Körper hat nach und nach Dinge abgegeben, so sehe ich das.
Nachdem ich meine Geschichte erzählt habe, die dann am 08. März 2018 in der Zeitschrift „Die Bunte“ veröffentlicht wurde, habe ich für mich damit abgeschlossen. Ich leide nicht mehr darunter, das habe ich die ganzen Jahre davor getan. Ich habe mich befreit und ich hoffe, ich kann anderen Menschen Mut machen und Sprachrohr für  Betroffene. Ich rede jetzt mit Ihnen nochmals so ausführlich darüber, weil ich mich riesig freue und geehrt fühle, dass ich den BVZ Award erhalte. Den Award würde ich sehr gerne stellvertretend für alle Alopecia Areata-Betroffenen annehmen, die nicht wie ich die Möglichkeit oder die Kraft haben, entspannt darüber zu sprechen. Ich möchte ihnen den Preis widmen und ihnen zurufen: „Verzweifelt nicht, wir sind etwas Besonderes!“ Ansonsten ist das nicht mehr mein Fokus, sondern lediglich ein Teil von mir. Im Fokus steht meine Arbeit als Schauspielerin.

 
ZHP: Sie tragen ihre Perücke täglich und haben einmal gesagt, dass für Sie die Perücke wie ein Kleidungsstück ist. Worauf achten Sie beim Kauf einer Perücke?
 
Antwort MM: Als Schauspielerin kann ich mit einer Perücke meine Wandelbarkeit unter Beweis stellen, mir nimmt man die Perücke ab, an mir wirkt sie sicher aufgrund meines natürlichen Umgangs mit ihr authentisch und ich wirke nicht wie verkleidet. Ein sehr großer Vorteil, vor allem wenn es um Rollen im Charakterfach geht.  Beruflich muss sie also den Charakter meiner Rolle unterstützen. Auch privat, ich trage nur Echthaar-Perücken, sind meine Wünsche an meine Perücke wie die der meisten Frauen an ihre Frisur auch: Sie soll bequem sein, leicht zu frisieren und unkompliziert im Handling. Ich bin privat ein eher legerer Typ und genauso soll auch meine Perücke sein. Das heißt auch, dass sie nicht zu viele Haare haben darf, dass der Ansatz so unsichtbar wie möglich sein soll und der Unterbau so zart wie möglich, am besten gar nicht zu spüren. Echte Lebensqualität haben mir auch die Echthaar-Augenbrauen und Wimpern zum Aufkleben beschert. Die sind so fantastisch gemacht, dass man diese selbst mit auf einem stark vergrößerten Bild nicht als aufgeklebt erkennen kann.

 
ZHP: Wie viele Perücken haben Sie im Einsatz? Wechseln Sie die Frisuren oder haben alle aktuell von Ihnen getragenen Perücken denselben Schnitt und dieselbe Farbe?
 
Antwort MM: In meinem Beruf wechsle ich die Perücken natürlich je nach Rolle. Privat allerdings habe ich genauso meine Phasen wie jede Frau mit eigenen Haaren auch. Mal trage ich meine aktuelle Lieblingsfrisur über Monate, dann wieder mag ich die Abwechslung und probiere etwas Neues aus. Auch bei der Farbe habe ich schon viel experimentiert, ein ganz normales, weibliches Verhalten also.

 
ZHP: Was raten Sie Eltern von jungen Mädchen, die die Diagnose Alopecia Areata erhalten? Wie können Eltern und Freunde die Diagnose erträglicher machen?
 
Antwort MM: Das ist eine der schwierigsten Fragen überhaupt. Stellen Sie sich vor, Ihnen fallen in der Phase, in der Sie anfangen, sich als Frau wahrzunehmen, die Haare aus. Eines der wichtigsten Schönheitsmerkmale, die für Weiblichkeit und Sinnlichkeit stehen. Dann die Diagnose und die Unsicherheit, wie der Verlauf des Haarverlustes sein wird. Ich kann eigentlich nur allen raten, immer für das Kind, die Freundin oder den Freund, es gibt ja auch viele Männer, die davon betroffen sind, da zu sein. Signalisieren Sie immer, dass Ihr Kind nicht alleine ist. Machen Sie Ihrem Kind, Ihrer Freundin klar, dass sie zwar keine Haare hat,  dafür aber etwas ganz Besonders ist. Dass sie ein toller Mensch ist, und dass das, was sie verliert „nur“ Haare sind, was aber zählt ist die Persönlichkeit. Menschen ohne Haare sind nicht wie alle anderen und sie sollten versuchen, daraus innere Kraft und Stärke zu gewinnen. Ich habe mir damals andere Bereiche gesucht, auf die ich meine Energie projiziert habe, ich bin Schauspielerin geworden. Das hilft, das kompensiert und das erweitert den Horizont. So wird man zu einer Persönlichkeit und lernt, Anteil an dem Schicksal anderer zu nehmen, die häufig einem noch viel größeren Leidensdruck ausgesetzt sind. Es gibt manchmal keine andere Möglichkeit, als Dinge anzunehmen.  
Und bitte, gehen Sie mit Ihrem Kind oder Ihrer Freundin/Freund unbedingt zum Arzt und dann zum Zweithaar-Spezialisten. Dort bekommt man Haare und Haare sind ein wichtiger Schutz, der hilft, der Umwelt selbstbewusst entgegenzutreten. Ich habe als junge Schauspielerin meine gesamte Gage in Perücken investiert und das nie bereut. Obwohl ich mir oft gewünscht habe, dass ich all das nicht mehr brauchen würde.

 
ZHP: Sie haben sicher nach der Bekanntmachung Ihrer Krankheit zahlreiche Zuschriften erhalten. Was war die häufigste Botschaft? Gab es auch so genannte Hater unter den Zuschriften und wenn ja, wie begegnen Sie diesen Menschen?
 
Antwort MM: Ich bin nach wie vor von der Flut an Briefen überrascht, die mich erreicht hat und immer noch erreicht. Die meisten Briefe waren von Mädchen oder Frauen, die mir ihre ganz persönliche Geschichte geschildert haben. Ich war oft sehr bewegt, die Geschichten meiner Leidensgenossinnen zu lesen. Ich hatte aber auch einige kritische Zuschriften von Menschen, die meinten, ich würde mich unter meiner Perücke verstecken und müsste so selbstbewusst sein, dass ich jetzt auch ohne Perücke aus dem Haus gehen sollte. Aber  das schließe ich für mich aus, das ist mir zu privat, ich gehe ja auch nicht ohne Kleider aus dem Haus. Trotzdem, wenn Frau sich dazu entscheidet, keine Perücke zu tragen, ist das auch wunderbar. Es lebe die Vielfalt!

 
ZHP: Würden Sie den Schritt wieder tun und den Medien und der Öffentlichkeit gegenüber ohne Perücke auftreten?
 
Antwort MM: Den Schritt würde ich immer wieder machen, ohne Wenn und Aber. Mir ging es darum, meine Geschichte zu erzählen, vor allem auch, weil ich ja einen öffentlichen Beruf ausübe. Alles wird genau beobachtet und alles wird kommentiert. Ich gestehe, dass mich Kommentare in den sozialen Netzwerken sehr oft gekränkt haben. Immer mein Aussehen betreffend. Einmal war es zu viel, dann habe ich den Journalisten meines Vertrauens angerufen. Es gibt ein Bild von mir ohne Perücke, das allerdings wird auch das einzige bleiben, ein weiteres wird es nicht geben.

 
ZHP: Haben Sie eine Traumfrisur?
 
Antwort MM: Nein, eine Traumfriseur habe ich nicht. Meine Träume haben mit Haaren oder Nicht-Haaren nichts mehr zu tun. Übrigens, für eine Rolle werde ich bald kahl vor die Kamera treten. Das mache ich nicht aus Sensationslust, sondern weil es diese Rolle erfordert. Meine Frisuren sind drehbuchäbhängig. (lacht)

 
ZHP: Wo kaufen Sie Ihre Perücken und welche Anforderungen haben Sie an die perfekte Perücke?
 
Antwort MM: Seitdem ich Perücken trage bin ich Kundin von Martin (Salon Karglmayer). In all den Jahren war er genauso wichtig wie meine Ärztin, er ist ein Freund geworden und Teil meines Familiensystems. Er hat viele schwere Phasen meines Lebens miterlebt und mir immer nur zu den perfektesten Haaren geraten.
Und die perfekte Perücke ist die, die so natürlich wie möglich aussieht. Ich kann mit meinen Perücken all das machen, was ich auch mit eigenen Haaren machen könnte, ich kann ins Wasser springen, unter der Dusche stehen, Cabrio fahren – es gibt nichts wo ich mich einschränken müsste.

 
ZHP: Hat Ihre Krankheit auch etwas Positives für Sie? Leben Sie mit Ihrer Krankheit oder muss die Alopecia mit Ihnen leben?
 
Antwort MM: Das Thema habe ich für mich abgehakt, darüber denke ich nicht mehr nach. Mein Anliegen ist vor allem, dass wir alle, die wir mit dieser Haarlosigkeit leben, nicht als krank oder behindert gesehen werden. Wir sind anders. Und zwar schön anders und anders schön. Aber ich musste auch 52 Jahre werden, um so zu denken. Das ist nicht so einfach, wie es sich jetzt vielleicht anhört.
 
 
ZHP: Vielen herzlichen Dank Frau Mitterhammer für dieses offene Gespräch und Ihre Zeit!

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